Meine Geschichte

2023: 56 Jahre jung, weiblich und frisch nach Marokko ausgewandert. Aber alleine hätte ich es nie geschafft. Ich bin gebürtige Deutsche und 2010 in die Schweiz ausgewandert. Ich habe die Schweiz lieben gelernt. Aber spätestens in 10 Jahren hätte ich sie wieder verlassen müssen. Denn meine Rente würde dann niemals reichen, um weiter hier leben zu können. Also warum nicht schon jetzt wieder auswandern? In ein Land wo ich leben könnte?

Durch marokkanische Freunde in der Schweiz hatte ich bereits einen kleinen Einblick in die Mentalität erhascht. Was mich hier bereits einfing, war ihre Warmherzigkeit und der Familienzusammenhalt. Beides vermisse ich in meiner eigenen Herkunfts- und Familiengeschichte. Dies war der Anstoss für meine Neugierde und meinen Wunsch, tiefer in diese Kultur einzutauchen. Und... ich erinnerte mich plötzlich, dass ich bereits als Kind Bücher mit orientalischem Hintergrund geradezu verschlungen hatte.

Bereits 2016 stellte sich bei einem zum Spass absolvierten DNA-Test heraus, dass ich zumindest einen nordafrikanischen Vorfahren haben musste. Der Wahrscheinlichkeit nach ein geheimnisvoller Urgrossvater, der nie im Stammbaum in Erscheinung getreten war - nun aber in einem Gentest.

Nun, ich gehöre zu der immer hinterfragenden Spezies. Ich bin ziemlich streng katholisch erzogen worden, aber mit 25 aus der Kirche ausgetreten. Ich würde auch nicht zum Islam konvertieren. Hier wie da verstehe ich zwar durchaus den Zweck einer Religion, empfinde diesen jedoch für mich als nicht mehr zeitgemäss. Ich habe andere Wege der Spiritualität gefunden. Nur, solange man diese nicht selbst entdeckt, ist eine Religion sicher besser als nichts.

Nichts desto trotz ist Religion ein fester Bestandteil unserer Kulturen. Sie spiegelt sich in unseren alltäglichen Ritualen, in unserer Sprache, in unseren Jahresfesten. Und nachdem ich diese in meiner deutschen, germanischen und keltischen Herkunft reichlich studiert hatte, wollte ich nun auch diese orientalische, marokkanische, fremde Kultur kennenlernen. Und... meine Ängste besiegen.

Bei einer dreiwöchigen Reise durch Marokko im Mai 2022 begleitete mich ein "Travel-Guide" aus Merzouga. Er öffnete mir bereitwillig alle Türen und Tore. Er zeigte mir sein Land, stellte mich seiner Familie vor und wurde mein Übersetzer seiner Kultur.

Und so entschied ich mich im Juni 2022, nach Marokko auszuwandern. Ein neues Leben zu beginnen. Raus aus diesem tristen Alltag einer Bank, aus dem bevormundenden System (vor allem Deutschlands) und dem Konsumzwang. Und .... den langen Wintern. Ich wollte nun endlich diese wunderbare, so gegensätzliche, manchmal paradoxe "Welt" ganz kennenlernen - nicht nur in einem Urlaub. Begleitet wurde ich zu Anfang von "meiner" Berber-Familie, bei der ich ein halbes Jahr in einem Appartement im ersten Stock, mit Blick auf die Erg Chebbi Dünen in Merzouga, verweilen durfte.

Ich liess mir die 2./3. Säule ausbezahlen (Schweiz) und konnte so einen Schritt in eine neue Zukunft wagen.

Im April 2023 kaufte ich mir in Deutschland einen kleinen Camper, meldete ihn auf meine Schwester an und fuhr damit - nach Erhalt meiner Aufenthaltsgenehmigung für Marokko - wieder zurück in meine neue Heimat. Leider wurde es in der Wüste ab Mai unerträglich heiss. Selbst zwei Klimaanlagen reichten kaum und führten immerwieder zum Ausfall der gesamten Haus-Sicherungen. Dort konnte ich wohl nicht bleiben (was mir natürlich bereits zu Anfang bewusst war.)

Ich fuhr also Ende Juni mit meinem kleinen Camper Richtung Meer - nach Essaouira. In der Nähe - nämlich in Sidi Kaouki - blieb ich für mehrere Wochen auf einem Camping Platz. Und verliebte mich. In diesen Ort. In diese Menschen. Und bliebt letztendlich bis Ende 2024. Mein Camper hatte in dieser Zeit leider einen Totalschaden. Eine lange Geschichte, ihn aus dem Land zu bringen. Er war in Deutschland angemeldet. Das nötigte mich auch zunächst, etwas sesshafter zu werden.

Ich konnte für 1.5 Jahre ein schönes Haus mieten. Schon bald gehörten 1 Pferd, 3 Hunde und eine Katze zu meiner Familie. Ich betrieb ab Januar 2024 mit meinem damaligen Freund ein kleines Bistro in der Nähe des 2. Strands. Auch ein B&B boten wir zusammen an. Das Leben in dieser Zeit war voller Herausforderungen, aber auch sehr glücklichen Momenten. Heute habe ich meinen hauptsächlichen Aufenthalt erst einmal nach Spanien verlagert. Aus privaten Gründen. Doch Marokko wird mir immer irgendwie Heimat bleiben, vor allem auch weil mir das ein oder andere Zimmer von Freunden zur Verfügung steht. Ich bin also noch regelmässig dort. Marokko hat mich etwas ganz besonderes lernen lassen: Vertrauen zu haben, dass alles so kommt wie es sein soll - ohne den übertriebenen Kontroll- und Absicherungszwang unserer westlichen Kultur, was uns leider all zu oft selbst einsperrt.

Ich habe gelernt zu akzeptieren, dass die Zukunft immer ungewiss bleibt, egal wie sehr wir uns (gerade in Deutschland) absichern mögen. Um uns zu befreien und um das zu spüren, ist Marokko mit seinen chaotischen, herzensguten, liebenswürdigen, immer hilfsbereiten Menschen, die immer Lachen, wenn es uns schon längst zum weinen wäre, das perfekte Land!